Nicola Kripylo (Crissy), Anneka Dacres (Tribe "Anneka"), Aaron Röll (Woof), Simon Stockinger (Claude), Thomas Wegscheider (Tribe "Thomas"), Sophia Gorgi (Jeannie), Denis Riffel (Berger) © SLT/Tobias Witzgall
Nicola Kripylo (Crissy), Anneka Dacres (Tribe "Anneka"), Aaron Röll (Woof), Simon Stockinger (Claude), Thomas Wegscheider (Tribe "Thomas"), Sophia Gorgi (Jeannie), Denis Riffel (Berger) © SLT/Tobias Witzgall

Hair (seit 10/2022)
Deutsches Theater, München

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Sexy, emotional, stark. Das Deutsche Theater in München zeigt “Hair” als Produktion des Salzburger Landestheaters in einer berührenden und intensiven Inszenierung von Andreas Gergen mit einer schier überirdisch guten Besetzung und einer prägnanten brandaktuellen Färbung.

Die Produktion ist im Ganzen auf einem ausgesprochen hohen Level angesiedelt. Die straffe Inszenierung lässt die stellenweise etwas zäh wirkende Geschichte geschmeidig dahinfließen – alle Szenen gehen in einem natürlichen Spielfluss ineinander über, sodass man sich als Zuschauer ganz in der bunten Welt der Hippies verliert. Viele aktuelle Bezüge sind in die Handlung eingewoben: Klimademonstranten treten direkt am Anfang des Stücks auf, ein Tribe-Mitglied berichtet von seiner Reise auf einem Flüchtlingsboot, das entmenschte Suchen nach Liebe über Dating-Apps wird parodistisch angerissen, die “letzte Generation” tritt in Form eines Statistenensembles aus Kindern und Jugendlichen auf, die positive Botschaft des Stücks für freie Liebe wird auf “divers”, “nonbinär” und generelle Queerness erweitert. Zudem sind die dem Stück ohnehin inhärenten Themen aktueller denn je: Die Legalisierung von Marihuana, die Schrecken des Kriegs für Unschuldige und soziale Ausgrenzung werden eindrucksvoll inszeniert.

Das Bühnenbild besteht aus vier großen, begeh- und erklimmbaren Buchstaben aus Gerüst, die das Wort “Love” bilden und stimmungsvoll verschiedenfarbig leuchten. Besonders bewegende Bilder kreiert die Requisite durch Tribe-Freunde, die mittels Gitterzäunen voneinander abgeschnitten sind – in einer Szene sogar nach Hautfarbe getrennt. Regnende Luftballons kreieren eine wunderschöne Szene der jugendlichen Unbeschwertheit, während düstere, in blauem Licht bedrohlich ausgeleuchtete und in Nebelschwaden gehüllte Gefängnisszenen und in blutrotes Licht getauchte Kriegsszenen den zweiten Akt bestimmen. Der Wechsel von Leichtigkeit und Sinnlichkeit im ersten zu brutaler Realität und Wehmut im zweiten Akt, der wie eine Coming-of-Age-Story einer ganzen Generation daher kommt, wird somit authentisch, einfühlsam und dramaturgisch effektiv gezeichnet.

Was das Ensemble in diesem Stück leistet, ist höchst beeindruckend. Extrem fordernde und anspruchsvolle Choreographien reihen sich aneinander. Jede einzelne dieser Choreographien erzählt eine Geschichte und erhebt das Stück über das oftmals überrepräsentierten Sex-Thema von “Hair” heraus. Natürlich gibt es auch hier viel nackte Haut, eindeutige Posen, Gesten und angedeutete Kopulation innerhalb der Choreographien, doch sie werden zunehmend abstrakter, intimer, liebevoller und sehnsüchtiger. Jedem Darsteller gelingt es, mit unerschöpflich scheinender Bühnenenergie und der ihnen jeweils eigenen Spielweise ganz individuelle Nuancen zu setzen und die tänzerischen Parts auf ein noch höheres Niveau zu heben.

Auch  das authentische Schauspiel beeindruckt und berührt. Auf emotionaler Ebene überzeugt besonders Claude-Darsteller Daniel Eckert, der in der Auslegung seiner Figur mit fortlaufender Handlung immer mehr den Weltschmerz auf seinen Schultern zu tragen beginnt. Die Power-Rolle Berger wird von Denis Riffel verrucht, sexy und dominant verkörpert – eine wahre Superstar-Ausstrahlung umgibt ihn und es ist ihm ein Leichtes, die vierte Wand mit zahlreichen Publikumsinteraktionen immer wieder komplett einzureißen. Das funktioniert bei “Hair” vor allem beim vergleichsweise seichten Anfang des Stücks sehr gut!

Schauspielerisch mit unfassbarer Spielenergie geladen zeigt sich Aaron Röll als Woof, der die anderen Tribe-Mitglieder fast an die Wand spielen würde, wenn diese nicht ebenfalls so starke Schauspieler wären. Julia-Elena Heinrich kauft man die leidenschaftliche Kämpferin Sheila durch ihr überzeugendes und mutiges Schauspiel sofort ab.

Wahre Stimmwunder entpuppen sich in überraschend großer Anzahl: Minori Therrien schmettert mit großer Wucht ihr Solo “Easy to Be Hard” und Masengu Kanyinda zeigt in “Dead End” gesangliche Virtuosität. Auch Maria Joachimstaller beweist eine eindrucksvolle Stimmgewalt in “Frank Mills” und Sophia Gorgi begeistert in “Air”. Die Gesangsstimme und die Bühnenpräsenz von Savio Byrczak als Hud sind so stark, dass man hofft, ihn demnächst in viel größeren Rollen sehen zu dürfen. Auch Rob Marshall beeindruckt mit einer Weltklasse-Stimme, die vor allem in “Working in Space” zur Geltung kommt, während Alexander Hartmann, Daniel Therrien und Constanza Perez de Lara respektive durch komödiantisches Feingefühl, besonderes Bewegungstalent und tänzerischen Ausdruck herausstechen.

Judith Lefeber als Dionne gibt eine warmherzige Vertrauensperson und autoritäre Schlichterin innerhalb des Tribes, die mit “Age of Aquarius” direkt am Anfang gesanglich richtig einheizt. Ihre markante Stimme sticht auch in den Ensemblenummern immer höchst erfreulich heraus. RTL-Ikone Tanja Schumann gibt als Kirsche auf dem Sahnehäubchen ein Dreierlei an Schauspiel-Schmankerln mit in das perfekte Gesamtrezept: als Mutter anrührend-besorgt, als Washington im Zusammenspiel mit Röll urkomisch und als frivole Margaret mit ihrem Solo “My Conviction” sympathisch-schrullig.

Auch wenn die Solo-Parts eine Aneinanderreihung von Highlights sind, entfaltet das Ensemble im innigen Zusammenspiel mit Tanz und Gesang seine volle Wirkung: Ob leicht und heiter bei “Black Boys” und “Hare Krishna” oder bleiern schwer bei “Aquarius” und “Let the Sunshine In” –  dieses Ensemble bereist alle Stationen der menschlichen Gefühlswelt.

Musikalisch eingerahmt wird dieses Kunstwerk von einer 11-köpfigen Rockband, die zurecht am Ende tosenden Applaus erhält – symbiotisch mit den Choreographien und dem Schauspiel des Ensembles wirkt die Musik so als sei sie voll und ganz Teil der intensiven Atmosphäre, die in dieser Inszenierung so virtuos aufgebaut wird.

Es bleibt nur zu hoffen, dass diese Produktion bald wieder auf die Bühne gebracht wird – am besten genauso wie sie jetzt ist, nach dem Motto ‘never change a winning team’, denn hier ist alles perfekt.

 
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KREATIVTEAM
InszenierungAndreas Gergen
Musikalische LeitungWolfgang Götz
Associate DirectorDaniel Therrien
ChoreografieStephen Martin Allan
BühneStefanie Seitz
KostümeAleksandra Kica
 
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CAST (AKTUELL)
BergerDenis Riffel
ClaudeDaniel Eckert
WoofAaron Röll
HudSavio Byrczak
SheilaJulia-Elena Heinrich
DionneJudith Lefeber
JeannieSophia Gorgi
CrissyMaria Joachimstaller
Tribe-MitgliederAlexander Hartmann
Daniel Therrien
Minori Therrien
Constanza Pérez de Lara
Martin Trippensee
Masengu Kanyinda
MutterTanja Schumann
 
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CAST (HISTORY)
BergerDenis Riffel
ClaudeSimon Stockinger
WoofAaron Röll
HudSavio Byrczak
SheilaJulia-Elena Heinrich
DionneTertia Botha
JeannieSophia Gorgi
CrissyNicola Kripylo
Tribe "Anneka"Anneka Dacres
Tribe "Wei-Ken"Wei-Ken Liao
Tribe "Thomas"Thomas Wegscheider
Margaret Mead / Politiker / Offizier / Alexander v. HumboldtMarco Dott
Hubert / Vater / Politiker / Karl MarxHorst Zalto
Mutter / Politikerin / Offizierin / Bertha von SuttnerSylvia Offermans
Politiker / Offizier / Abraham LincolnDaniel Therrien
Politikerin / Offizierin / ÄrztinKate Watson
Politiker / Offizier / ArztMartin Trippensee
  
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TERMINE
keine aktuellen Termine
 
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TERMINE (HISTORY)
Sa, 15.10.2022 19:00Felsenreitschule, SalzburgPremiere
Sa, 22.10.2022 19:00Felsenreitschule, Salzburg
Fr, 04.11.2022 19:30Felsenreitschule, Salzburg
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