Fabian Ranglack (Albin), Ensemble © Udo Krause
Fabian Ranglack (Albin), Ensemble © Udo Krause

La Cage aux Folles (Ein Käfig voller Narren) (2022 - 2023)
Uckermärkische Bühnen Schwedt (ubs), Schwedt (Oder)

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In schwierigen Zeiten tut gut gemachte Unterhaltung gut – besonders, wenn sie noch eine Botschaft mit im Gepäck hat. Diese Aufgabe erfüllt André Nickes Inszenierung vom Narrenkäfig dank toller Ausstattung (Mike Hahne) und einem hochkarätigen Cast mit Bravour.

Schwedt liegt nicht mehr nur an der Oder, sondern neuerdings auch an der Riviera. Wenn der sich öffnende Vorhang den Blick auf die sehr breite Bühne freigibt, wähnt sich das Publikum sofort im Urlaub. Vor den Zuschauern plätschert auf dem hochgefahrenen Orchestergraben in einem Wasserbecken das Mittelmeer, links steht eine hohe Palme, rechts trocknen an einem Holzgestell die Fischer ihre Netze in der Sonne. Und wie es sich für Saint Tropez gehört, lädt direkt am Strand eine breite Promenade zwischen zwei mondän-mediterranen Hausfassaden zum Flanieren ein. Mit wenigen Versatzstücken lässt sich diese Spielfläche mit integrierter Drehbühne in den titelgebenden Travestie-Club, das Zuhause seiner Betreiber oder in das Lokal “Chez Jaqueline” verwandeln. Dieses Bühnenbild von Mike Hahne ist atmosphärisch dicht und einfach grandios!

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Was sich darin abspielt, ist ebenfalls nicht von schlechten Eltern. Regisseur André Nicke fährt in seiner Regenbogen-Komödie um das schwule Clubbetreiber-Paar Georges und Albin zwar alle gängigen Tunten-Klischees bis hin zum aufblasbaren Einhorn-Schwimmtier auf und baut auch den ein oder anderen zotigen Gag ein. Dennoch stehen auf der Bühne Menschen mit Gefühlen, Träumen und einem fast ganz normalen Alltag. Besonders eindringlich gelingt Nicke dies, wenn Albin als Travestiestar Zaza im Lichtkegel auf fast dunkler Bühne mit “Ich bin, was ich bin” seine tiefe Verletzung über den geplanten, vorübergehenden Rauswurf aus den heimischen vier Wänden singt. Hier und in vielen weiteren Szenen seiner Inszenierung unterstreicht der Regisseur, dass Homosexuelle in die Mitte der Gesellschaft gehören und keine Menschen zweiter Klasse sind. Ein wichtiges Plädoyer im Land Brandenburg, in dem Rechtspopulisten aktuell stark steigende Zustimmungswerte erhalten.

Doch gerade mit Blick auf diese politische Strömung versagt Nickes Inszenierung. Edouard Dindon, Abgeordneter der “Partei für Tradition, Familie und Moral” bleibt in der zurückhaltenden Darstellung von Krzystof Gmiter unangemessen blass, zumal er und seine Frau nach Entdeckung der sexuellen Orientierung ihrer Gastgeber einzelne Textpassagen in polnischer Sprache sprechen. Auch wenn Schwedt nur wenige Kilometer von der Landesgrenze entfernt liegt und ein Großteil der Darsteller polnische Wurzeln hat, vermeidet der Regisseur damit jegliche Kritik an selbsternannten, rechtspopulistischen Moralaposteln, auch im Jahr 2022, in dem Nicke das Stück spielen lässt. So wird nicht nur in Euro bezahlt, auch Sohnemann Jean-Michel mit Rastalocken, kabellosem Bluetooth-Kopfhörer und Regenbogen-Peace-Symbol auf dem T-Shirt verweist auch optisch auf die Gegenwart.

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Eine große, positive Überraschung ist die musikalische Umsetzung mit einer 5-Personen-Band, die von Tom van Hasselt am Flügel geleitet wird. Dieser am hinteren Bühnenrand sichtbar postierte, zunächst ungewöhnlich kleine Klangkörper bleibt der Jerry Herman-Partitur in der musikalischen Einrichtung von Markus Syperek nichts schuldig. Im Gegenteil: Wie beim in einzelnen Passagen jazzig arrangierten Song “Schau mal dort hin”, klingt die Musik frischer als in der originalen Fassung für großes Orchester.

Zum Erfolg der Schwedter “Käfig voller Narren”-Inszenierung tragen zwei weitere bekannte kreative Köpfe aus der Musical-Szene bei: Der bereits erwähnte Mike Hahne verantwortet auch das insbesondere beim Travestie-Show-Personal raffiniert geschnittene Kostümbild voller Glitter und Federn. In diesen vielen Show-Auftritten kann sich auch Bart De Clercq als Choreograf austoben, indem er die acht Cagelles in eleganten Posen und Hebefiguren, die zum Teil auch im Wasserbecken ausgeführt werden, zu Höchstleistungen fordert. Diese sind auf den Punkt besetzt mit polnischen Musical-Studenten und ebenfalls aus dem Nachbarland stammenden Tänzerinnen.

Angenehm frisch wirken die beiden Liebenden Anne und Jean-Michel nicht nur wegen ihres Rastazopf-Looks: Paulina Wojtowicz darf zum Song “Mit Anne im Arm” vor einem Sternenhimmel-Prospekt sogar über die Bühne schweben und gibt eine angenehm selbstbewusste junge Frau. Als ihr Verlobter Jean-Michel ist Lennart Olafsson ein seinem Vater zunächst gegenüber sehr egoistischer Revoluzzer, der im Laufe des Abends verbittert erkennen muss, dass er mit seinem Albin-Boykott zu weit gegangen ist. Olafsson singt einem angenehm timbrierten hohen Tenor.

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Eine wahre Granate ist Michael Kuczynski, der als Zofen-Butler Jacob ebenso treffsicher seine Pointen setzt, wie er in Absatzschuhen über die Bühne saust. Im Finale lebt er dann seinen großen Traum und steht als Tina-Turner-Double im roten Glitzerfummel triumphierend auf der Showbühne. Ebenfalls aus dem Haus-Ensemble stammen Katarzyna Kluczna und Ines Venus Heinrich, die als nach Lebensfreude lechzende Marie Dindon und elegante Gastronomie-Lady Jaqueline vorlagenbedingt nur kurze Auftritte haben.

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Fabian Ranglack und der gastverpflichtete Dirk Audehm harmonieren in Spiel und Gesang perfekt als Travestie-Club-Inhaberpaar Albin und Georges, das man einfach gern haben muss. Ranglack verfügt sowohl als Diva Zaza als auch als verletzbarer, tuntiger Mann über eine enorme Bühnenpräsenz, der beim Auftritt als resolute Mutter sogar noch toppen kann. Seinen angenehm timbrierten Bariton führt er anfangs im Maskara-Song in den Höhen und Tiefen noch etwas wackelig, steigert sich aber von Lied zu Lied zu einer guten Leistung. An seiner Seite ist Dirk Audehm ein eleganter wie liebender Georges, dem man Audehms langjährige Musical-Erfahrung ansieht und anhört. Sein Schauspiel reicht von berührend leise als liebender Mann, bis hin zu sehr witzig als Diplomat beim Besuch der Dindons.

Sowohl das Fischsterben in der Oder als auch die aktuelle Energiekrise haben der Stadt Schwedt mit ihrer ins wirtschaftliche Schlingern geratenen Raffinerie in den vergangenen Monaten überregionale Aufmerksamkeit gebracht. Eine solche Aufmerksamkeit verdient jetzt auch diese Musical-Inszenierung an den örtlichen Uckermärkischen Bühnen. Eine Reise dorthin lohnt auf jeden Fall!

 
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KREATIVTEAM
InszenierungAndré Nicke
Musikalische LeitungTom van Hasselt
AusstattungMike Hahne
ChoreografieBart de Clercq
 
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CAST (AKTUELL)
GeorgesDirk Audehm
Albin/ZazaFabian Ranglack
JacobMichael Kuczynski
Jean-MichelLennart Olafsson
AnnePaulina Wojtowicz
Edouard Dindon / FischerKrzysztof Gmiter
Marie DindonKatarzyna Kluczna
JaquelineInes Venus Heinrich
ChantalJeremi Jakubowski
Hanna / FischerKamil Krüger
Phädra / HerculeDaniel Grzegorek
MercedesJan Sielicki
Dermah / Paulette / KellnerinEwelina Tołyż-Kuczynska
Odette / EtienneEliza Hołubowska
Nicole / FahrradfahrerBartosz Wilniewicz
Clo-Clo / ColetteMaja Szymkowiak
Francis, Inspizient / Bademeister / OberkelllnerChristian Hirseland
Mme. RenaudAlexandra-Magdalena Heinrich
FotografinAlexandra-Magdalena Heinrich
GästeEliza Hołubowska
Bartosz Wilniewicz
Maja Szymkowiak
Alexandra-Magdalena Heinrich,
  
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TERMINE
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TERMINE (HISTORY)
Sa, 01.10.2022 19:30ubs / Großer Saal, Schwedt (Oder)Premiere
Fr, 14.10.2022 19:30ubs / Großer Saal, Schwedt (Oder)
Sa, 15.10.2022 19:30ubs / Großer Saal, Schwedt (Oder)
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