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Tommy (2006 - 2007)
MuTaTe e.V., Wilhelmshaven

Tommy, das ist eine Geschichte von Gewalt, Missbrauch und Trauma. Tommy, das ist aber auch eine Geschichte von Spiel, Glanz und Glamour. Diese beiden Geschichten erzählt das Wilhelmshavener Amateurensemble Mutate in zwei völlig unterschiedlichen Akten, die beinahe wie zwei eigenständige Stücke daherkommen. Empfohlen sei dem Zuschauer die vorherige Lektüre des Programmheftes, das mit Inhaltsangabe und abgedruckten englischen Texten ein beinahe unentbehrlicher Leitfaden zum Verständnis des eher fragmentarischen und fast ohne Sprechszenen auskommenden Stückes ist.

Mit einer fast seancenhaften Therapiesitzung, an der der erwachsene Tommy teilnimmt, beginnt das Stück auf einer bis auf die leicht erhöht im Hintergrund sitzende Band leeren Bühne. Die Rückblende auf eine Kindheit voller Gewalt und Albträume fordert im folgenden ersten Akt dem Zuschauer einiges ab. Ohne Atempause schließt sich an eine kurze Geburtssequenz der Mord an, den der junge Tommy miterleben muss, darauf seine traumatischen Erfahrungen einer autistischen Eingeschlossenheit, der Vergewaltigung durch einen Verwandten und schließlich ein eindrucksvoller Reigen von finsteren Fabelwesen und Visionen, die seine Kindheit bestimmen. Der traumatisierte Tommy bleibt stumm und im Zusammenspiel mit den realen Figuren zumeist lebloses Objekt, er interagiert nur mit seinen Albtraumgestalten. Ab und an wird er von seinem erwachsenen Ich gedoppelt, das mit dem leitmotivischen “Feel me, Heal me” seine Sehnsucht nach Wärme und Liebe ausdrückt.
Dieser erste Akt ist mehr Tanztheater mit Livegesang und erzeugt eine bedrückende Intensität. Tim Yalcin als erwachsener Tommy gibt eine erste Kostprobe seines beeindruckenden gesanglichen Könnens, Vanessa Porten gelingt – als stummer Tommy zumeist in einem angedeuteten Rohrgestellkäfig gefangen – eine eindrucksvolle Darstellung des traumatisierten Jungen. Die eigentliches Stars aber sind die Choreographien von Sabrina Alexiadis (die mit ihrem Auftritt als Acid Queen auch gesanglich und darstellerisch in Erinnerung bleibt), die ihrem eigentlich aus Amateuren bestehenden Ensemble das Äußerste abverlangt. Die rein tänzerisch ausgedrückte Bedrohung wird zu einer auch den Zuschauer fordernden Abfolge von Horrorszenarien, die den dringenden Wunsch nach einer Atempause erzeugt. Doch erst die Selbstbefreiung Tommys, der schließlich einen Spiegel zerschlägt und damit selbst zur handelnden Person wird, gewährt dem Zuschauer das Ende des ersten Aktes und die wohlverdiente Pause.

Der zweite Akt bietet ein vollständig verwandeltes Bild: Musik und Gesang übernehmen das Regiment auf der Bühne und im Folgenden bietet Mutate eine Rockshow vom Feinsten. Dieser fällt zwar die Stückdramaturgie fast komplett zum Opfer, doch das Publikum ist nach dem schwer verdaulichen ersten Akt nur zu gern gewillt, diesen Weg mitzugehen. Tommy, nun ein Star, später ein Guru, inszeniert sich inmitten bunt gekleideter Anhänger und nur kurz vor dem Ende, als seine Jünger ihn fallenlassen, haben zwei der Albtraumgestalten des ersten Aktes noch einen kurzen Auftritt. Dieser bleibt aber nicht wirklich folgenreich und so fügt sich schnell alles zum rockig-bunten Finale.
Vor allem Tim Yalcin als Tommy liefert eine blendende Leistung ab. Ausdrucksvoll und auch in den Höhen völlig mühelos meistert er seinen Part. Sein “Behind blue eyes” in der Mitte des zweiten Aktes macht deutlich, dass sein gesangliches Niveau auf semi-professionellen Bühnen Maßstäbe setzen kann und wird zum umjubelten Showstopper. Auch Britta Wilke, im ersten Akt als Mutter rollenbedingt noch etwas verhalten, dreht als anonyme Solosängerin in der Jüngerschar auf und kann stimmlich überzeugen – genauso, wie der Rest des Gesangsensembles in einigen schön gesetzten Vokalpassagen. Auch das Tanzensemble, nun vor allem als Jünger Tommys gefordert, bietet eine große Bandbreite gekonnt auf die Bühne gebrachter Szenen. Choreographin Sabrina Alexiadis beweist, dass sie sich auch auf Showchoreographien versteht, herausragend im Gedächtnis bleibt eine fast surreale Szene mit dem Einsatz farbefroher Ganzkörper-Tanzsäcke.
Wie schon in den vergangenen Produktionen von Mutate erweist sich die Band unter der Leitung von Klaus Scheit als Juwel: Sie zaubert einen opulenten und frischen Rocksound auf die Bühne und ist auch als Bestandteil der Bühnenshow jederzeit präsent.
Diese Qualitäten bilden die Korsettstange zwischen einem etwas sperrig geratenen ersten und einem (wenn auch auf Kosten der Dramaturgie) unterhaltsamen zweiten Akt, die das Premierenpublikum aufgrund der weit über Amateurtheaterniveau liegenden Leistung der Akteure zurecht mit begeisterten Ovationen feiern konnte.

 
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TERMINE
keine aktuellen Termine
 
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TERMINE (HISTORY)
Sa, 07.10.2006 19:30Stadthalle Friedeburg, NordenhamPremiere
Fr, 13.10.2006 19:30Landesbühne Niedersachsen Nord GmbH, Wilhelmshaven
Sa, 14.10.2006 19:30Landesbühne Niedersachsen Nord GmbH, Wilhelmshaven
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