Florence (Navina Heyne, links) und Swetlana (Alexandra Farkic) kämpfen um Anatoly (Dirk Weiler). © Dorothea Heise
Florence (Navina Heyne, links) und Swetlana (Alexandra Farkic) kämpfen um Anatoly (Dirk Weiler). © Dorothea Heise

Chess (2012)
Domfestspiele, Bad Gandersheim

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Der Kampf um die Schach-Weltmeisterschaft zwischen Ost und West – open air vor dem Dom in Bad Gandersheim. Eine solide und unspektakuläre Produktion, aber absolut sehenswert. Denn Grundlage ist die wohl beste Version, die es aktuell von diesem Musical gibt. Wenn jetzt noch jemand eine neue Übersetzung schreiben würde…

Dass Benny Andersson und Björn Ulvaeus mit der Musik zu “Chess” ein Meisterwerk gelungen ist, mag wohl kaum jemand bestreiten. Aber das Buch von Tim Rice? Bereits unzählige Male überarbeitet und angepasst, immer wieder kritisiert: unlogisch, wenig stringent, kaum vernünftig zu inszenieren. Regisseure flüchten sich gern in schrille Bilder, um von den Schwächen des Buches abzulenken.
In Bad Gandersheim ist jetzt eine Version zu sehen, die das nicht nötig hat: Mit einer grundsoliden Inszenierung kommt ein kompaktes, stringentes und gutes Musical auf die Bühne. Das Geheimnis: die an die Stockholmer Version angelehnte Buchfassung. Die hat zwar auch noch einige Längen in den Balladen, erzählt die Geschichte aber schlüssiger.

Die wichtigste Änderung: Die Story spielt jetzt durchgehend binnen einer Woche in Meran, der Orts- und Zeitwechsel nach Bangkok entfällt. Nach dem Eklat bei der ersten Partie setzt der Schiedsrichter ein Entscheidungsspiel eine Woche später am selben Ort an. Wie schon in der Broadway-Version (1988) treffen Anatoly und Freddie also im Finale direkt aufeinander – und Freddie ist nicht nur (wie im Original) als Kommentator dabei. Zudem ist wegen der zeitlichen Nähe verständlicher, warum Svetlana um Anatoly kämpft. Die Figur der Svetlana wird ürigens gleich am Anfang des ersten Akts eingeführt: eine Szene im Opening zeigt einen Streit zwischen Svetlana und Anatoly vor dessen Abreise.
Dass “One Night in Bangkok” nun keine inhaltliche Berechtigung mehr hat und sehr platt eingebaut wird (“Um Ihnen die Wartezeit bis zum Finale der Schachweltmeisterschaft zu verkürzen, singe ich den Nummer-Eins-Hit…”), muss man für die Verbesserungen in Kauf nehmen. Nicht geändert hat sich, dass die deutschen Songtexte oft sehr unelegant sind und die Sänger ständig zu falschen Betonungen zwingen.

Die Inszenierung von Christian Hockenbrink holpert anfangs ein bisschen. Zu “Merano” platziert sich der Extrachor mit Baumattrappen im Publikum und imitiert Vogelgezwitscher, das Ensemble tanzt in folkloristischen Kostümen, und es marschiert sogar ein Spielmannszug auf. Das ist zwar alles ganz putzig, passt ins seiner Volkstümlichkeit aber überhaupt nicht zu der eher feingeistigen Musik. (Zudem ist es keine gute Idee, vielen Zuschauern mit Baumattrappen die Sicht zu versperren.) Wenn später die Songs tendenziell einfacher werden, passt auch die bodenständige Inszenierung. Und die richtige Balance zwischen Humor und Ernsthaftigkeit gelingt Hockenbrink beim Einsatz des fokussiert spielenden und exakt tanzenden, sechsköpfigen Ensembles (Yoko El Edrisi, Anaïs Lueken, Nina Vlaovic, Sebastian Hammer, Mickey Petersson, Robert Meyer). Ob als italienischer Klischeekellner vor kitschigem Sonnenuntergang oder als prolliger KGB-Agent: die Sidekicks sind wohl dosiert und machen Spaß, ohne Überhand zu nehmen.
Dirk Weilers Anatoly bezieht seinen Charme aus seiner Bescheidenheit und Unaufgeregtheit. Die Sympathien sind ihm damit sicher, die Figur ist schlüssig gezeichnet. Allerdings muss man ihm die starken Emotionen vor der entscheidenden Schachpartie glauben, sehen kann man sie kaum – der Nachteil dieser Rolleninterpretation.
Thomas Christ gibt den Freddie im krassen Kontrast dazu als absoluten Kotzbrocken: laut, rechthaberisch, kompromisslos. Sein “Pity the Child” rechtfertigt das mit einem Ausbruch der aufgestauten Wut und Verzweiflung. Das ist intensiv gespielt, allerdings hat Christ am Premierenabend gesanglich arge Probleme mit den Höhen.

Navina Heyne ist dagegen als Florence stimmlich absolut sicher. Vor allem ihre Dialoge mit Anatoly wirken echt und glaubwürdig. Alexandra Farkic (Svetlana) ist ihr in “I Know Him So Well” eine ebenbürtige Partnerin. Karsten Kenzel gibt den Arbiter als schmierigen Showmaster, Florian Hacke macht als Molokow mit warmer, fester Stimme und diabolischer Beherrschtheit auf sich aufmerksam.
Die Produktion auf der relativ kleinen und weitgehend leeren Gandersheimer Bühne kommt mit wenigen Requisiten aus. Unspektakulär. Und dass funktioniert auch prächtig, wenn man eine Geschichte erzählen kann statt von ihren Schwächen ablenken zu müssen.

 
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KREATIVTEAM
RegieChristian Hockenbrink
Musikalische LeitungHeiko Lippmann
AusstattungKati Kolb
ChoreographieKati Farkas
 
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CAST (AKTUELL)
Anatoly SergievskyDirk Weiler
SwetlanaAlexandra Farkic
Anna PetrownaChristine Dorner
MischaAntonio Xavier Cabrera Val
Frederick TrumperThomas Christ
Florence VassyNavina Heyne
Florence als KindWinona Brandt
Florence Vassys VaterRobert Meyer
Alexander MolokowFlorian Hacke
ArbiterKarsten Kenzel
EnsembleYoko El Edrisi
Anaïs Lueken
Nina Vlaovic
Sebastian Hammer
Mickey Petersson
Robert Meyer
  
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TERMINE
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TERMINE (HISTORY)
Do, 19.07.2012 20:00Domfestspiele, Bad GandersheimPremiere
Fr, 20.07.2012 20:00Domfestspiele, Bad Gandersheim
So, 22.07.2012 15:00Domfestspiele, Bad Gandersheim
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