Gerd Achilles, Ballettensemble © © t & w / Andreas Tamme
Gerd Achilles, Ballettensemble © © t & w / Andreas Tamme

Dracula (Wildhorn) (2012 - 2013)
Theater, Lüneburg

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Frank Wildhorns Vampir-Musical in einer bissig-modernen Neuinterpretation mit überraschendem Antagonisten und bewegendem Finale, inszeniert von Friedrich von Mansberg. In der Titelrolle ein großartiger Gerd Achilles.

Im Zeitalter von “Interview mit dem Vampir”, “Twilight” und “Vampire Diaries” scheint Bram Stokers Epos um einen greisen Blutsauger, der in einem transsylvanischen Schloss haust und sich erst nach unfreiwilliger Blutspende in einen recht ansehnlichen viktorianischen Gentleman verwandelt, nicht mehr ganz zeitgemäß zu sein. In der heutigen Popkultur sind Vampire eher Rockstars als Dämonen, eher Projektionen menschlicher Sehnsüchte als alptraumerregende Monster.

Entsprechend dieses Imagewandels verpasst Regisseur Friedrich von Mansberg der Geschichte um den Ur-Vampir eine Frischzellen-Kur und verlegt die Handlung ins Hier und Jetzt. Der Titelheld (bzw. Antiheld) ist jung, attraktiv und trägt enge schwarze Lederhosen. Er residiert in einem stylischen, mit IKEA-Möbeln ausgestatteten Londoner Hotel, wo er umgeben von seiner Entourage (zu der neben den üblichen drei Vampiretten auch eine Reihe junger männlicher Vampire gehört) wilde Parties feiert und seine Gäste von Barkeeper Renfield mit Alkohol abfüllen lässt.

Mit Gerd Achilles hat man einen Hauptdarsteller gefunden, der mit viel Charisma die großen Fußstapfen, in die er mit dieser Rolle treten muss, problemlos ausfüllt. Sein Dracula nutzt eher Charme als Furcht, um Jonathan, Lucy und Mina in seinen Bann zu ziehen, und glänzt vor allem in den Balladen mit angenehm warmer, dunkler Stimme. “Je länger ich leb” ist einer der Höhepunkte der Aufführung, ebenso wie das “Ein perfektes Leben”-Terzett mit Mina und Jonathan. Doch während sich der Vampir-Fürst den anderen gegenüber als dunkler Verführer gibt, lernt ihn das Publikum von einer anderen Seite kennen. In einer verstörenden Szene während Renfields “Lied vom Meister” jagt Dracula ein kreischendes Opfer durch den Zuschauerraum und attackiert die junge Frau gnadenlos. Es ist ein geschickter dramaturgischer Schachzug, der den Hauptcharakter nicht nur mehr Tiefe verleiht, sondern gleichzeitig auch den Mythos vom fast schon menschlichen, vergebens nach Liebe suchenden Vampir unterwandert.

Auch Jonathan und Mina (Kristian Lucas und Elisabeth Sikora, beide sowohl stimmlich als auch darstellerisch überzeugend) dürfen sich in dieser Produktion erfreulich vielschichtig zeigen. Gerade Jonathan ist normalerweise kaum mehr als eine blasse Randfigur, dessen einzig heroischer Moment – der Versprechen an Mina, sie zu töten, bevor sie ganz in Draculas Bann gerät – im Hinblick auf Draculas mehr oder weniger freiwilligen Tod ohne Konsequenzen bleibt. Wenn Jonathan jedoch hier “Frost an einem Sommertag” singt, dann ist es mehr ein Schwur gegenüber sich selbst, als gegenüber Mina, die an diesem Punkt schon ganz und gar dem Charme von Dracula erlegen ist und mit der Beziehung zu Jonathan offenbar bereits abgeschlossen hat. Elisabeth Sikoras Mina ist energisch und selbstsicher und nicht der Typ Frau, der Dracula in seinem spontanen Moment der Reue beim Freitod assistieren würde. Und so wird Jonathan zum tragischen Antagonisten und das Finale zu einer Tragödie von nahezu shakespeareschem Ausmaß, in der es letztendlich nur Verlierer gibt: Jonathan setzt sein Versprechen konsequent in Realität um und erschießt seine Frau, während Dracula der herbeigesehnte Tod ebenso versagt wird wie ein ewiges Leben mit Mina, die in seinen Armen stirbt.

Van Helsing bleibt in dieser Inszenierung ein eher zwielichtiger Charakter, der mit High-Tech-Überwachungsausrüstung und einer Schlägertruppe in der Hinterhand auf Vampirjagd geht und Kollateralschäden dabei gerne in Kauf nimmt. Karl Schneiders opernhafte Stimme ist anfangs etwas gewöhnungsbedürftig. Spätestens aber bei “Roseanne” – wunderbar mit einer Tanzsolistin in Szene gesetzt – kann er sich die Rolle zueigen machen. Annabelle Mierzwa spielt Lucy temperamentvoll und überdreht und setzt damit einen guten Kontrastpunkt zur ernsthaften Mina. Dass dabei einige der hohen Töne nicht dort sitzen, wo sie sollten, fällt angesichts der Rollenauslegung kaum ins Gewicht. MacKenzie Gallinger als Renfield fällt gesanglich im Vergleich zu seinen Kollegen stark ab, auch wenn er schauspielerisch viel aus der Rolle herausholt.

Man greift in Lüneburg auf die ursprüngliche deutsche Textfassung aus St Gallen zurück (bis auf “Frost an einem Sommertag”, bei dem die Übersetzung von Herwig Thelen herangezogen wurde), die leider recht sperrig, überfrachtet und gehetzt daher kommt. Besonders in den schnellen Songs wirkt sich das negativ aus, da die Texte der Musik hinterherhasten und damit fulminanten Liedern wie “Leb noch einmal” oder “Zu Ende” nahezu jegliche Dynamik genommen wird. Verschlimmert wird diese Problematik zusätzlich durch den Umstand, dass das Orchester gerade in den schnellen Passagen viel zu laut ist und die Darsteller ausnahmslos übertönt. Das Stück leidet nicht nur musikalisch sondern auch inhaltlich darunter, da einige der interessantesten Momente dank akustischer Unverständlichkeit verpuffen.

Trotzdem überwiegt am Ende der positive Eindruck. Eine solch stark veränderte Adaption des klassischen Dracula-Stoffes mag sicherlich nicht jedermanns Sache sein. Doch Regisseur von Mansberg gelingt es, eine in sich geschlossene, moderne und überzeugende Neuinterpretation auf die Bühne zu bringen, die dem Klassiker neue Seiten abgewinnen kann und den Spannungsbogen mit Konsequenz bis zum Ende hält.

 
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KREATIVTEAM
InszenierungFriedrich von Mansberg
Musikal. LeitungUrs-Michael Theus
AusstattungBarbara Bloch
 
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CAST (AKTUELL)
Graf DraculaGerd Achilles
Jonathan HarkerKristian Lucas
Mina MurrayFranka Kraneis
Elisabeth Sikora
Lucy WestenraAnnabelle Mierzwa
Prof. Abraham van HelsingKarl Schneider
RenfieldMacKenzie Gallinger
Dr. Jack SewardSteffen Neutze
Quincey MorrisMarcus Billen
Arthur HolmwoodVolker Tancke
  
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TERMINE
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TERMINE (HISTORY)
Sa, 10.11.2012 20:00Theater, LüneburgPremiere
Mi, 14.11.2012 20:00Theater, Lüneburg
Do, 29.11.2012 20:00Theater, Lüneburg
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