Girard Rhoden und Ensemble © © Ilja Mess
Girard Rhoden und Ensemble © © Ilja Mess

Hair (2013)
Theater, Ulm

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Lange Mähnen, Schlaghosen und Fransenwesten – mit seinem Festivalambiente und dem 80 Mann starken Ensemble bietet das Ulmer Wilhelmsburgkastell den perfekten Rahmen für eine atmosphärische “Hair”-Inszenierung. Unter der Regie von Arthur Castro bleibt allerdings kaum mehr als eine weichgespülte Flower-Power-Klamotte.

Antikriegsbewegung, freie Liebe und die Aufhebung der Rassen- und Gesellschaftsschranken: Es sind mehr die Themen als die Figuren, die Gerome Ragni und James Rado ins Zentrum von “Hair” gestellt haben. Durch seine politische Botschaft wurde “Hair” zum Sprachrohr einer Generation. Noch heute, vor dem Hintergrund von internationalen Konflikten, der rechtlichen Gleichstellung homosexueller Partnerschaften und immer pressierenderen Umweltfragen, haben die Themen von “Hair” aktuellen Bezug und gesellschaftliche Relevanz.

Doch leider kann man mit gesellschaftspolitischen Fragen keine Karten verkaufen. So zumindest präsentiert sich “Hair” in der Ulmer Open-Air-Fassung von Arthur Castro auf der Wilhelmsburg: als handwerklich sauberes und inhaltlich deutlich zu sauberes Hippie-Feelgood-Event, das sicherheitshalber die Finger von zu kritischen Positionen lässt.

Castros “Hair”-Version orientiert sich an der Handlung des Miloš-Forman-Films von 1979, die außer den Namen und Songs recht wenig mit dem Original gemeinsam hat. Aus dem New Yorker Hippie Claude wird ein unbeholfener Farmerjunge aus Oklahoma, der in der großen Stadt auf die Jugendbewegung um Hippie Berger und das Upper-Eastside-Töchterchen Sheila trifft, die aus den Schranken der Konformität befreit wird. Castro nimmt sich über weite Strecken weder die Zeit noch die Muße, die Handlung zu entwickeln. Pflichtbewusst arbeitet er die Songpalette ab und vergibt Chance um Chance, die ironischen Referenzen und sozialkritischen Inhalte der Texte herauszuarbeiten. So liegen die Hippies sittsam und züchtig nebeneinander, während Woof mit “Sodomy” einen Appell für die freie Liebe formuliert und Jeanie fächelt dem ohnmächtigen Claude bei “Air” Luft zu, ohne die Referenz auf die Luftverschmutzung auszuspielen.

Schade, denn gesanglich hat das Ensemble einiges auf dem Kasten: Henrik Wager als Berger ist eine Wucht. Er spielt die Rolle des Hippie-Anführers mit Witz und Charisma und toppt sein Spiel noch mit einer grandiosen sängerischen Leistung. Mit ihren Stimmen wissen auch Girard Rhoden als Hud und John Davies als Woof zu überzeugen. Julia Gámez-Martin singt sich in der Doppelrolle als Hippie-Queen und Dionne mit Bravour durch den Abend. Während ihr “Aquarius” noch ein wenig beliebig klingt, ist ihr “Easy to Be Hard” herzzerreißend schön. Neben ihren starken Bühnenpartnern wirken Volkram Zschiesche (Claude) und Dorothée Kahler (Sheila) etwas blass, aber durch die Schwerpunktverschiebung der Inszenierung haben sie sowieso nur wenig Raum, sich zu entfalten. Begleitet werden sie von der achtköpfigen Band um Ariane Müller, die sich mit Leichtigkeit durch Galt MacDermots Songs spielt und den schleppenden Sixties-Sound trifft.

Beeindrucken kann Castros Inszenierung bei den Massenszenen, bei denen bis zu 80 Hippies, Soldaten und Bürger auf der Bühne stehen. Aber es gelingt ihm nicht, in der Wilhelmsburg einen ganzheitlichen Bühnenraum zu erzeugen. Zum einen verpasst er die Chance, mit seinen zahlreichen Darstellern eine Interaktion mit dem Publikum aufzubauen, zum anderen klammert er auf weite Strecken die gegebene Kulisse der Anlage aus und konzentriert das Spiel auf eine sandkastenartige, rundliche Bühnenkonstruktion mit grünen Spielflächen, Drehscheibe und bunt-glitzerndem Bogen, die verloren vor der Kasernenarchitektur steht. Das ist schade, denn die Ulmer Wilhelmsburg atmet schon beim Aufstieg eine unheimlich dichte Happening-Atmosphäre, die dem Stück sehr zuträglich hätte werden können.

Stellenweise versucht die Inszenierung dann doch noch ganz zaghaft, ein bisschen politische Position zu beziehen. Ein blinkender Frisbee entpuppt sich beim zweiten Einsatz als Kampfdrohne, Barack Obamas Stimme spricht einmal kurz über amerikanische Kriegsverantwortung und hin und wieder darf Jesus zwischen den Hippies mit dem Kreuz entlangschlurfen. Die Statements bleiben aber so verhalten, dass sie ungehört verpuffen. Auf die letzten Takte von “The Flesh Failures (Let the Sunshine In)” brennt die amerikanische Flagge, weil es sich bei “Hair” so gehört, während aus der Konfettikanone ein prächtiger Glitzerregen schießt. Gesellschaftskritisches Theater darf sein, aber bitte nicht bei schönem Wetter und open air.

 
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KREATIVTEAM
Musikalische LeitungAriane Müller
RegieArthur Castro
BühneBritta Lammers
KostümeAngela C. Schuett
 
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CAST (AKTUELL)
BergerHenrik Wager
Brady Swenson
ClaudeVolkram Zschiesche
SheilaDorothée Kahler
HudGirard Rhoden
DionneJulia Gámez Martin
WoofJohn Davies
JeanieAnita Patek
Leni RiefenstahlMelanie Zacharias-Jansen
EnsembleMaren Kern
Hannah Kristin Olbert
J. Emanuel Pichler
Wiebke Neulist
  
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TERMINE
keine aktuellen Termine
 
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TERMINE (HISTORY)
So, 16.06.2013 21:00Wilhelmsburg, UlmPremiere
Do, 20.06.2013 21:00Wilhelmsburg, Ulm
Fr, 21.06.2013 21:00Wilhelmsburg, Ulm
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