Magdalene Orzol (Dorothy), Tim Müller (Bruce)  © © Andreas Hartmann
Magdalene Orzol (Dorothy), Tim Müller (Bruce) © © Andreas Hartmann

Rocky over the Rainbow (2013 - 2014)
Theater für Niedersachsen, Hildesheim

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Die Figuren der Musical-Klassiker “Der Zauberer von Oz” und “Rocky Horror Show” treffen bei einem Autounfall aufeinander und machen sich gemeinsam auf den Weg zum transvestitischen Zauberer. In den Niederlanden uraufgeführt, kommt die Show von Eelco R. Claassen und Michael Diederich als deutschsprachige Erstaufführung auf die Bühne.

Schon im Foyer ist klar: Diese Produktion ist anders. Ein bunt gemischtes Publikum zwischen 18 und 80, teils dezent im langen Abendkleid, teils überschminkt im aufreizenden Mini. Hier und da ein bunter Partyhut aus Papier, ausgelassene Stimmung. Als Vorhang dient ein stilisierter Filmstreifen mit der Aufschrift “FSK AB 18”, dahinter die Strichzeichnung eines 5-Jährigen. Passt nicht zusammen? Richtig – und genau das ist das Konzept des Stücks und des gesamten Abends. Zu sehen gibt es Trash in jeglichen Variationen, herrlich direkt und verstörend schonungslos.

Mit “Rocky over the Rainbow” wagt sich das TfN an die deutsche Fassung des niederländischen Kultmusicals von Eelco Claassen und Michael Diedrichs. “Zwei Musicals zum Preis von einen” sind versprochen. Ohne Rücksicht auf Verluste werden die Charaktere der “Rocky Horror Show” sowie des “Zauberer von Oz” zusammen in ein buntes Bühnenbild geschmissen und ihrem Schicksal überlassen. Annika Dickel führt in Ihrer Rolle als Kulturwissenschafts-Studentin durch den Abend und bedient dabei wohl jedes Klischee, dass jemals über Teilnehmer dieses Studiengangs im Umlauf war oder ist.

Das Pärchen Bruce und Janine will auf dem Weg nach Hause die Abkürzung durch den Wald nehmen. Unglücklicherweise überfahren sie dabei den Blechmann und die Vogelscheuche. So machen sie sich gemeinsam mit Dorothy und dem Löwen auf den Weg zum Schloss, um dort zu telefonieren. Dorothy (hervorragend: Magdalene Orzol) freut sich: Nun können sie endlich wieder vierstimmig singen. Im Schloss treffen Sie auf auf Fritz Alive, einen Zauberer, der mit einer besonderen Maschine Leben erschaffen kann. Für sein neustes Projekt “Rocky” fehlt ihm allerdings noch ein Gehirn. Da kommt ihm Bruce gerade recht.

Katja Buhl ist mit “Rocky over the Rainbow” ein Glücksgriff gelungen. Die Musical Company des TfN zelibriert eine verbale und optische Orgie auf der Bühne. Schrill und anstößig, makaber, albern und direkt. Jonas Hein als “Fritz Alive” und Marlene Orzol zeigen ihre enorme darstellerische Vielseitigkeit. Allgemein bewegt sich das Ensemble sehr sicher auf dem dünnen Eis, das der Stempel “Trash” mit sich bringt. Zwar sind die Rocknummern des Stücks allesamt keine Ohrwürmer und auch die vierköpfige Band vermag trotz soliden Handwerks nicht, dies zu ändern. Sie schafft es jedoch, eine gute Stimmung von der Bühne in den Saal hinein zu transportieren. Hin und wieder finden Adaptionen von berühmten Musicalsongs einen kurzen Einzug in die musikalische Handlung. Dorothys erfolgloser Versuch, den Klassiker “Somewhere Over the Rainbow” anzustimmen, entwickelt sich zum Running Gag. Stimmlich sind alle Darsteller überzeugend, auch wenn ihre Stimmen im Tonmix zeitweise hinter der Lautstärke der Band zurückstehen.

Ein größeres Manko des Stücks sind die neuen Namen einiger Charaktere. Statt “Bradley” steht nun “Bruce” auf der Bühne, der Transvestit “Frank” heißt in Hildesheim “Fritz Alive” und auch “Lick” und “Argentina” waren mit “Riff” und “Maggs” besser bedient. Zum Glück durften zumindest “Dorothy” und “Toto” ihre Namen behalten und erleichtern so die Zuordnung im wirren Handlungsspiel.

Technisch macht das Musical Spaß. Als Ouvertüre dient ein selbstgedrehtes B-Movie, danach geht es auf die ungewohnt unverhüllte Bühne. Auf Gassen wurde verzichet, so dass der Blick bis zu den Zugseilen für die Handzüge frei ist. Aus robustem Stahl steht die Grundkonstruktion des Bühnenbilds in buntem Licht. Leichter Bühnennebel zieht über die Szenerie hinweg. Quietschbuntes Licht, Kostüme aus Müll und dem Sexshop, defekte Geräte aus dem Technikfundus – alles findet hier seinen Platz. Zeitweise huschen Techniker im Hintergrund vorbei. Immer wieder geht das Saallicht an und die Zuschauer sind zum Mitmachen eingeladen. Mit der “Publikums-Beteiligungstasche” (2 Euro) gibt es einen Partyhut, ein Knicklicht, TicTacs, eine Cazu-Tröte und eine klare Anleitung dazu: Wer die Dinge an der falschen Stelle einsetzt, wird öffentlich erniedrigt. Aber zusammen macht’s sowieso viel mehr Spaß. So wird das Musical zu einem echten Kollektiverlebnis. Spätestens wenn in Song-Anspielung auf “There’s a Light” (Rocky Horror Show) im ganzen Saal die Knicklichter geschwenkt werden, ist klar, dass alle etwas von dieser Tasche haben. Ansonsten gilt: Alles darf und alles muss. Unter diesem Motto steht der gesamte Abend. Es gibt keinerlei Rücksichtnahme auf Konventionen, scheinbar jede noch so verrückte Idee schafft es ins Stück und auf die Bühne. Da berichtet Lick davon, wie er seiner Schwester Argentina “das Gehirn rausgefickt” hat, Janine räkelt sich wollüstig mit einer Rocky-Holzfigur zwischen den Beinen im übergroßen Sitzsack nachdem Lick ihr Herz herausgeschnitten hat und Dorothy entdeckt, dass nicht nur der Hund Toto ihr ganz besondere Freuden bereiten kann.

Nach 45 Minuten verlässt die erste Zuschauerin den Saal. Sie kommt nicht zurück. In der Pause schließen sich einige ältere Damen und Herren an. “Rocky over the Rainbow” ist nichts für zart Besaitete. Wer einen seichten Theaterabend erwartet, wird bitter enttäuscht. Wer sich hingegen auf das wortwörtliche Treiben auf der Bühne einlassen und das Ganze nicht zu ernst nehmen kann, kommt aus dem Lachen nicht heraus. Das Musical macht gute Laune und ist trotz 2:45 Spielzeit (inkl. Pause) selten langatmig. Nach der Vorstellung ist ein breites Grinsen in den Gesichtern der meisten Zuschauer zu sehen. Egal ob 18 oder 80, wer bis hierhin durchgehalten hat, dem kann heute nichts mehr die Laune verderben. Die Publikums-Beteiligungstasche in der Hand, ein TicTac im Mund und ein Partyhut auf dem Kopf geht es hinaus in die Nacht. Oh, there’s a light…

 
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KREATIVTEAM
RegieKatja Buhl
Musikalische LeitungAndreas Unsicker
ChoreografieJanne Geest
Bühne und KostümeDirk Immich
 
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CAST (AKTUELL)
Bruce/MannTim Müller
JanineCaroline Zins
DorothyMagdalene Orzol
KingAlexander Prosek
LickJens Plewinski
Argentina/FrauKaroline Goebel
Fritz AliveJonas Hein
HexeMichaela Linck
ErzählerinAnnika Dickel
  
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TERMINE
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TERMINE (HISTORY)
Do, 20.06.2013 19:30Großes Haus, HildesheimPremiere
Mo, 24.06.2013 19:30Großes Haus, Hildesheim
Mi, 26.06.2013 19:30Großes Haus, Hildesheim
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