Franz Woyzeck: Felix Mühlen  © Bettina Müller
Franz Woyzeck: Felix Mühlen © Bettina Müller

Woyzeck (2014)
Staatstheater, Mainz

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Das Staatstheater Mainz inszeniert Robert Wilsons und Tom Waits’ Büchner-Adaption “Woyzeck” mit schönen Ideen und Mut zum Understatement. Das große Aha-Erlebnis bleibt allerdings aus.

Kontroverse Stoffe und bizarre Schattenwelten sind der Tummelplatz von Komponist Tom Waits und Avantgarde-Regisseur Robert Wilson. In Zusammenarbeit mit dem großen Beat-Poeten William S. Burroughs entstand 1990 “The Black Rider”, eine Neuadaption des deutschen Freischütz-Mythos, die das Verlangen nach dem goldenen Schuss thematisierte. “Alice” steigt in die Abgründe der Psyche einer erwachsenen Alice im Wunderland hinab, die sich über das Wesen ihrer Beziehung zu Kinderbuchautor Lewis Carroll klar werden muss.

Seit die Rechte in den vergangenen Jahren sukzessive freigegeben wurden, finden sich die Wilson-Waits-Musicals zunehmend im Repertoire der deutschen Landesbühnen. Das Staatstheater Mainz hat sich nun auch herangewagt. Hakan Savaş Mican inszeniert am Kleinen Haus “Woyzeck”, Waits’ und Wilsons Adaption des gleichnamigen Dramenfragments von Georg Büchner um einen Soldaten, der nach und nach dem Wahnsinn verfällt und, seiner Eifersucht und den Stimmen in seinem Kopf folgend, die Mutter seines Kindes umbringt.

Mican setzt in seiner Inszenierung auf nüchterne Beobachtung. Kein opulentes Bühnenbild lenkt den Blick des Zuschauers vom Ensemble ab, das in der anderthalb Stunden dauernden Vorstellung in die Tiefen menschlicher Abscheulichkeit vordringt.

Die Bühne von Sylvia Rieger bleibt über weite Teile des Stücks kalt und leer. Nur der Schriftzug “Wild Thier” prangt in violetter Neonschrift über einem Baldachin, wo das sechsköpfige Musikensemble unter der Leitung des Ausrufers Dominik “Enik” Schäfer die schnarrenden, akkordeon- und basslastigen Waits-Kompositionen spielt. Die einzigen Requisiten sind, neben starr stehenden Mikrofonständern, Maries Kinderwagen und ein paar rot leuchtender Ohrringe, Gegenstände mit handlungstragender Bedeutung. Wenn Rieger es auf der Bühne regnen lässt – dies geschieht zweimal – hat dieser Regen nichts Reinigendes an sich, er steigert das Elend des Protagonisten Woyzeck nur noch mehr.

Bei der Auswahl des Ensembles beweisen Regisseur Mican und das Theater Mainz ein gutes Händchen. Felix Mühlen spielt die Rolle des Franz Woyzeck mit einem überzeugenden Übergang vom glücklich Verliebten zum paranoid Schizophrenen. Vor allem die Stellen, in denen die Stimmen in Woyzecks Kopf überhand nehmen, gelingen ihm glaubwürdig. Lorenz Klee ist zwar für die Rolle des Hauptmanns noch ein wenig jung, hinterlässt aber genauso wie Stefan Walz als Doctor und Tilman Rose als Tambourmajor mit seinem im besten Sinne grotesk überzogenen Spiel einen positiven Eindruck.

Schauspielerischer Höhepunkt des Abends ist Ulrike Beerbaums Marie, die mit sensationeller Körperlichkeit zwischen einfühlsam liebend, verführerisch sinnlich und eiskalt berechnend wechselt. Auch Lisa-Marie Gerl ist lobend zu erwähnen, die in der besuchten Vorstellung kurzfristig als Maries Vertraute Margreth für die erkrankte Karoline Reinke einsprang und deren lebendige Einlagen die bedeutungsvolle Schwere des Stoffes immer wieder auflockerten.

Natürlich reichen die Gesangsleistungen der Darsteller – mit Ausnahme des Ausrufers allesamt Mitglieder des Mainzer Schauspielensembles – nicht an die der Kollegen aus dem Musiktheater heran. Das ist aber auch nicht nötig, denn Waits’ Lieder leben vor allem durch die nicht-perfekte Darbietung, die an drittklassige Nachtclubs und Gossenchansons erinnert.

Was sich Hakan Savaş Mican für das Mainzer Kleine Haus überlegt hat, funktioniert gut und ist in jeder Hinsicht eine solide, durchdachte Interpretation des Woyzeck-Stoffs. Doch darin liegt die Krux: Aus der Flut von Waits-Wilson-Inszenierungen der vergangenen Spielzeiten sticht Micans “Woyzeck” nicht wirklich heraus. Das Understatement, die sachlich-nüchterne Bühne, das Groteske im Schauspiel – nichts, was man an anderen Häusern nicht schon so oder zumindest so ähnlich gesehen hätte. Die skurrilen Theaterexperimente, die Waits und Wilson 1990 mit “The Black Rider” am Thalia-Theater Hamburg starteten, sind längst Standard auf Deutschlands Landesbühnen geworden.

 
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KREATIVTEAM
InszenierungHakan Savas Mican
Musikalische LeitungEnik
BühneSylvia Rieger
KostümeAlexandra Tivig
nach dem Stück von Georg Büchner
Musik / LiedtexteTom Waits
Kathleen Brennan
KonzeptRobert Wilson
TextfassungAnn-Christin Rommen
Wolfgang Wiens
 
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CAST (AKTUELL)
Franz WoyzeckFelix Mühlen
MarieUlrike Beerbaum
HauptmannLorenz Klee
DoctorStefan Walz
TambourmajorTilman Rose
AndresChristoph Türkay
MargrethKaroline Reinke
Karl, ein IdiotTibor Locher
AusruferEnik
  
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TERMINE
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TERMINE (HISTORY)
Fr, 21.03.2014 20:00Staatstheater, MainzPremiere
Di, 25.03.2014 19:30Staatstheater, Mainz
Fr, 28.03.2014 19:30Staatstheater, Mainz
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