Andrea M. Pagani (Anatoly Sergievsky und Chris Murray (Frederick Trumper) © Sabine Haymann
Andrea M. Pagani (Anatoly Sergievsky und Chris Murray (Frederick Trumper) © Sabine Haymann

Chess (2014 - 2015)
Theater, Pforzheim

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Anspannung zwischen Ost und West während der Schach-Weltmeisterschaft 1966, mitten im Kalten Krieg. Was eine bedeutsame Auseinandersetzung mit politischer Intrige und Feindbildern sein kann, wird unter der Regie von Wolf Widder am Theater Pforzheim zu einem recht platten Schaulauf für Show-Star Femke Soetanga als tragische Geliebte.

Nicht umsonst nennt man Schach auch das “Spiel der Könige”. Schon vor Jahrhunderten haben Herrscher auf dem Schachbrett kriegerisches Taktieren geprobt. Naheliegend, dass Tim Rice und die beiden ABBA-Veteranen Björn Ulvaeus und Benny Anderson vor dem Hintergrund einer Schachweltmeisterschaft eine Parabel für den Kalten Krieg ersonnen. Seit seiner Uraufführung 1984 erfreut sich “Chess” anhaltender Beliebtheit. In Deutschland wird das Stück – trotz Hit-Nummern wie “One Night in Bangkok” und “I Know Him So Well” – allerdings vergleichsweise selten gespielt.

Im Theater Pforzheim übernimmt Operndirektor Wolf Widder die Regie und holt damit seine “Chess”-Inszenierung aus der Dresdener Staatsoperette zurück auf die Bühne. Femke Soetanga, Chris Murray sowie Andrea M. Pagani spielen wie 2008 in Dresden die Hauptrollen. Daneben stehen mit Klaus Geber und Yvonne Luithlen zwei ihrer Kollegen aus Widders “Dracula”-Inszenierung auf der Bühne.

Optisch macht “Chess” einen guten Eindruck. Wie das Set eines Sean-Connery-007-Streifens muten das Bühnenbild und die Kostüme von Katja Lebelt an. Die Darsteller tragen der Zeit entsprechende, große Muster, Schlaghosen und Goldkettchen. Kurvige Formen und das immer wieder auftauchende schwarz-weiße Schachbrettmuster verorten das Bühnenbild zweckmäßig wie stimmungsvoll im Thema. Ebenfalls auf der Bühne – eine Ebene über den Darstellern – thront das Orchester, das unter der Leitung von Tobias Leppert eine überzeugende Leistung zeigt.

Die räumliche Trennung auf der Bühne scheint symptomatisch für die Inszenierung: In Pforzheim steht Musik ganz offensichtlich über der Handlung, denn für die große Politik interessiert sich Regisseur Widder herzlich wenig. Im Fokus seiner “Chess”-Fassung findet sich nicht der russische Schachweltmeister und spätere politische Deserteur Anatoly Segievsky (Pagani), sondern seine Herzensdame Florence Vassy (Soetanga), die Beraterin und Geliebte seines amerikanischen Konkurrenten Frederick Trumper (Murray). Die politischen Rahmenbedingungen erzählt Widder nur da, wo sie unumgänglich sind. Bezüge, die für das Verständnis der Charaktere wichtig wären, finden so auf der Bühne keine Beachtung. Alles in allem wirkt Widders Regiearbeit sehr linear und wenig vorausschauend, die einzelnen Handlungsstränge werden nicht zusammengeführt, sondern verknoten sich zu einem undurchdringlichen Gewirr. So bereitet der Regisseur den Zuschauer auch nicht auf die aufkeimende Leidenschaft zwischen Florence und Segievsky vor, sie bleibt nicht nachvollziehbar.

Widder zeigt nur wenige Ideen, die Geschichte in neue Bilder zu verpacken. Die Russen kommen mit zotteligen Pelzmützen daher, tanzen Kasatschok und trinken sich mit Wodka bei ihren Abhöraktionen in die Besinnungslosigkeit. Dies suggeriert ein derart klischeebeladenes Feindbild, dass man sich fragen muss, ob sich Widder und Dramaturgin Isabelle Bischof überhaupt der realpolitische Aktualität des Stoffes bewusst sind.

Femke Soetanga befindet sich als Florence im Fokus der Pforzheimer Inszenierung. Spielerisch wie gesanglich steht die Rolle der Deutsch-Niederländerin hervorragend zu Gesicht. Lasziv und kokett schmiegt sie sich in die Kissen von Trumpers Bett, beweist in Gesellschaft der Männer Stärke und Eigensinn und überzeugt letztlich als gebrochene Frau. Ihr “Jeder ist allein” (“Nobody’s Side”) ist einer der Höhepunkte der Aufführung, genauso wie das hingebungsvolle “Er ist nicht mein” (“I Know Him So Well”) im Duett mit Yvonne Luithlen als Svetlana Sergievsky. Luithlen ist in ihrer kleinen Nebenrolle spielerisch unterfordert. Dennoch spielt sie sich, wie schon als Lucy im Pforzheimer “Dracula”, ins Gedächtnis.

An Chemie fehlt es den beiden Damen nicht, dafür will aber zwischen Soetanga und Bühnenpartner Andrea M. Pagani (Anatoly) keine Spannung aufkommen. Paganis herbes Spiel passt sehr gut zum russischen Vorzeigemann des ersten Akts. Im weiteren Verlauf verpasst er es jedoch, die veränderten Lebensumstände seiner Figur auch in seiner Darstellung abzubilden. Gesanglich überzeugt er hingegen. Chris Murray zeigt als US-Schachprofi Trumper vollen Körpereinsatz – vielleicht sogar zu viel. Statt als Draufgänger erscheint Murray mehr als notorisch wütender Egomane. Diese Auslegung der Figur überzeugt in den ersten Szenen, wird im Lauf des ersten Aktes allerdings anstrengend und löst sich zum Ende des Stückes nicht auf. Mitgefühl oder Verständnis für Trumper kommt beim Zuschauer nicht auf. Das wütende Spiel schlägt Murray zudem merklich auf die Stimme: Sein kräftig gesungenen Soli schlagen immer wieder in Geschreie um und verlieren damit an Wirkung. Besonderes Lob gebührt Frank Bahrenberg, der am Abend des Besuchs den erkrankten Klaus Geber als KGB-Agent Molokov vertrat. Mit seinem intensiven, ruhigen Spiel und seiner angenehmen Bassstimme überzeugte er. In mehreren Szenen stahl er damit dem festen Ensemble die Show.

Gerade durch die aktuellen Bezüge, die “Chess” vor dem Hintergrund des Ukrainekonflikts bietet, hätte Widder einen Abend mit bleibenden Eindrücken und damit substantielles Theater schaffen können. Doch alle politischen Schachzüge klammert er für das noch nicht einmal besonders originelle Liebesdreieck aus. Eine mehr als vertane Chance, denn damit wird seine “Chess”-Fassung absolut belanglos.

 
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KREATIVTEAM
MusikBenny Andersson
Björn Ulvaeus
Text und IdeeTim Rice
Deutsche ÜbersetzungUlrich Bree
Markus Lindner
Musikalische LeitungTobias Leppert
InszenierungWolf Widder
Bühne und KostümeKatja Lebelt
ChoreografieTu Ngoc Hoang
James Sutherland
ChoreinstudierungSalome Tendies
DramaturgieIsabelle Bischof
 
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CAST (AKTUELL)
Florence VassyFemke Soetenga
Svetlana SergievskyYvonne Luithlen
Frederick TrumperChris Murray
Anatoly SergievskyAndrea Matthias Pagani
Alexander MolokovKlaus Geber
Walter de CourcyAykan Aydin
ArbiterBenjamin Savoie
Pop-ChoirAline Münz
Gitte Pleyer
Laura Wick
Reporter 1Steffen Fichtner
Ingo Wagner
Reporter 2Chiharu Takahashi
Manuela Wagner
  
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TERMINE
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TERMINE (HISTORY)
Di, 30.12.2014 19:00Theater, PforzheimVoraufführung
Mi, 31.12.2014 19:00Theater, PforzheimPremiere
Sa, 03.01.2015 19:30Theater, Pforzheim
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