Neue Stoffe braucht das Land

Ob auf der Bühne oder im Publikum – Dirk Bach ist fast genauso häufig im Theater anzutreffen wie er über die Mattscheibe flimmert. Im Gespräch mit der Musicalzentrale erinnert sich der vielseitige Entertainer an seine Gastrollen in Musical-Produktionen, outet sich als großer Fan des Genres und verrät, welche Entwicklungen er sich für den deutschen Markt wünscht.

Herr Bach, im April und Mai standen Sie in Trier in der deutschsprachigen Erstaufführung von Jerome Savarys “Die Schöne und das klitzekleine Biest” auf der Bühne. Worum geht es in dem Stück und welche Rolle haben Sie gespielt?

Dirk Bach: Die Botschaft ist bei allen Bearbeitungen dieses Märchenstoffs gleich. Es geht darum, mit dem Herzen zu sehen und jemanden zu lieben, der eigentlich nicht liebenswert aussieht. Die Schöne ist in dieser Version eine Frau, die nach dem Tod ihres Mannes die Fähigkeit zu lieben verloren hat. Ich habe das Biest gespielt habe, das hier allerdings kein grauenvolles Ungetüm ist, sondern ein Zwerg, der in einen putzigen Igel verwandelt wurde. Savary hat diese Geschichte mit all seinem Theaterzauber versehen und mit einem kunterbunten Musikgemisch untermalt. Obwohl die Musik eigenständig für das Stück komponiert wurde, hat man direkt das Gefühl, sie mitsummen zu können, weil sie voller unmerklicher Zitate steckt. Es gibt keinen klaren Strang wie bei einem Musical. Die Handlung wird eher wie bei einer Revue nummernartig weitertransportiert. Man kann es nicht anders beschreiben. Es ist einfach: Savary!

Angekündigt wurde das Stück als Disney-Parodie…

Ich glaube nicht, dass es ursprünglich als Disney-Parodie gedacht war. Savary hat den Originalstoff genommen und einige Dinge, die inzwischen damit passiert sind –wie eben eine Disney-Bearbeitung- einfließen lassen. Im Text finden sich aber nur wenige Verweise auf Disney. In Trier gab es zusätzlich ein paar ausgeschnittene Disney-Figuren im Bühnenbild. Das war es auch schon. Der Regisseur wollte eine Disney-Parodie daraus machen, aber ich finde das ein wenig hochgegriffen. Insgesamt war die Interpretation in Trier leider sehr anders als ich angenommen hatte. Bei einer Erstaufführung besteht immer die Gefahr, dass etwas dabei herauskommt, was man dann zwar spielt, womit man aber nicht unbedingt einverstanden ist. Ich hätte mir in Trier deutlich mehr Savary-Treue gewünscht.

Worin lag der Reiz für Sie, bei einer recht kleinen Stadttheaterproduktion mitzuwirken?

Ich finde das Stück sehr schön und war bereit, dorthin zu gehen, wo es inszeniert wird. Trier hat den Zuschlag bekommen. Ich spiele auch gerne in kleineren Häusern. Die Kollegen in Trier waren wunderbar und die Arbeit hat viel Spaß gemacht. Ich wäre auch für ein anderes Stück von Jerome Savary nach Trier gegangen, weil ich seine Werke schon als Teenager großartig fand.

Sie haben vorher schon in Stuttgart in der Disney-Fassung von “Die Schöne und das Biest” gespielt. Wie ist es dazu gekommen?

Ich habe die Disney-Fassung am Broadway gesehen und war völlig begeistert von dem opulenten Bühnenspektakel. Ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass man den Zeichentrickfilm überhaupt auf einer Bühne umsetzen kann. Als ich Herrn von Unruh gesehen habe, habe ich sofort gedacht: “Das wäre meine Rolle!”. Natürlich habe mich sehr gefreut, als ich einige Zeit später einen Anruf von der Stella AG bekam und sie mir genau diese Rolle in der deutschen Inszenierung anboten. Mutigerweise waren sie so überzeugt davon, dass ich die Rolle schaffen würde, dass ich nicht einmal vorsingen musste. Von der ersten Lesung an war klar, dass das genau mein Ding war.

Wie war das Gefühl, plötzlich in einer Großproduktion auf der Bühne zu stehen, die man vorher noch vom Publikum aus bewundert hat?

Das war wundervoll! Es ist ein tolles Gefühl, in diesem Aufwand mit soviel Technik und Opulenz zu arbeiten. Aber anfangs war es auch unheimlich. Bei den Theaterstücken, die ich vorher gespielt hatte, hatte ich nie mit einem verstärkten Orchester gearbeitet. Außerdem wurden wir immer mit mehreren Orchesterproben langsam an die Stücke herangeführt. Während meiner zweiwöchigen Probezeit in Stuttgart wurde nur mit Klavierbegleitung gearbeitet. Es gab nur eine Orchesterprobe und schon war ich in der Aufführung. Das war heftig! Außerdem war das Theater mit seinen 1800 Plätzen gigantisch groß. Ehrlich gesagt finde ich das auch nicht richtig. Bei so riesigen Häusern geht viel vom Stück selbst verloren.

Sie wurden als “Gaststar” engagiert. Hat man Sie auch als solchen behandelt?

Bei Disney-Inszenierungen ist es normalerweise fest vorgegeben, wie man die einzelnen Szenen zu spielen hat. Die künstlerische Leitung in Stuttgart hat sich gegen die von Disney verordnete Regel gestellt, indem sie mir mehr Freiheiten bei der Interpretation meiner Rolle zugestanden hat. Glücklicherweise war der Disney-Kontrolleur später auch damit zufrieden. Disney ist inzwischen etwas offener geworden. Man kann nicht einfach eine Show aus Amerika nehmen, sie irgendwohin verpflanzen und dann alle Leute so agieren lassen, wie man es sich 6000 Kilometer entfernt ausgedacht hat. Das deutsche Publikum reagiert auf Witze ganz anders als die Amerikaner. Man sollte solche Dinge viel stärker anpassen.

Bei der zweiten Disney-Produktion “Der Glöckner von Notre Dame” in Berlin haben Sie gemeinsam mit Ralph Morgenstern und Gayle Tufts die Wasserspeier gespielt.

Ja, das war auch sehr schön. Die Produktion hatte aber ihre Probleme dadurch, dass ihr die Heiterkeit und die Leichtigkeit fehlten, die die Zuschauer von Disney erwarten. Trotzdem waren auch hier die Ausstattung und die Technik mit den riesigen Blöcken, die ständig rauf und runter fuhren, grandios. Bei den Proben wurden wir ganz extrem darauf trainiert, nicht in die Tiefe zu stürzen. “Ein falscher Schritt, und du bist tot” wurde uns unentwegt gesagt. Wenn man mal vergaß, den Block zu wechseln, bestand auch die Gefahr, dass man plötzlich weggefahren wurde, obwohl man auf der Bühne stehen und singen sollte. Das war wirklich schwierig. Aber wir waren ja zu dritt und das hat uns sehr gestärkt. Ich war auch besonders stolz darauf, einmal in meinem Leben in einer Inszenierung von James Lapine spielen zu dürfen. Er hat am Broadway viele Sondheim-Stücke inszeniert, die ich ganz großartig fand.

Welches Erlebnis aus Ihrer Zeit bei den Disney-Produktionen ist Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?

Ich habe das ganze Stella-Drama von verschiedensten Seiten mitbekommen. Ich kam zur “Schönen”, kurz nachdem sie gerade aus der Pleite gerettet worden waren, und ich kam zum “Glöckner”, die kurz darauf in die Pleite gingen. Mir hat das alles sehr leid getan. Für mich ist es nicht schlimm, wenn ich für ein paar Vorstellungen keine Gage bekomme, aber für die netten Kollegen, deren einziges Einkommen diese Show war, hatte das dramatische Konsequenzen. Zum Glück scheint es inzwischen unter der Stage Holding gesünder zu funktionieren.

Haben Sie noch andere Angebote für Musicalrollen bekommen?

Es gab ein Angebot für “42nd Street”, aber daraus ist nichts geworden.

Mit welchen Rollen könnte man Sie locken?

Falls jemals “The Producers” nach Deutschland kommt, wäre ich sehr gerne dabei. In dem Stück gibt es viele wunderbare Rollen. Ich halte es nur für schier unmöglich, es hierzulande zu spielen. Ich würde auch gerne viele Stücke von Stephen Sondheim machen, wobei ich mich dabei immer fragen muss, ob ich das wirklich könnte. Das sind mitunter ganz schwierige Partien. “Follies” wäre definitiv mein Traum.

Wie wäre es denn mit dem Zauberer von Oz in “Wicked”?

“Wicked” finde ich auch ganz toll. Ich glaube, dass man das in Deutschland sehr schön machen könnte, selbst wenn das Märchen über den “Zauberer von Oz” hier nicht so bekannt ist wie in Amerika. Diese Rolle wäre super, aber das Stück ist sehr aufwendig und teuer. Man muss dafür erst mal einen Produzenten finden.

Sie kennen sich in der internationalen Musicallandschaft anscheinend ziemlich gut aus…

Ja, ich bin auch ein begeisterter Zuschauer. Ich fliege regelmäßig nach London und New York, um mir die neusten Musicals anzusehen. Im Januar war ich für elf Tage in New York und habe 18 Produktionen gesehen.

Was ist für Sie das Faszinierende am Genre Musical?

Ich gehe sehr gerne ins Theater und ich gehe gerne auf Konzerte. Wenn sich das verbindet – Theater mit zeitgenössischer Musik – dann ist das für mich die großartigste Form, die es gibt. Ich fand schon immer Musicalfilme wundervoll, aber das Bühnenmusical hat mich erst richtig begeistert, als ich in den 90ern die Neuinszenierung von “Follies” in London gesehen habe. Das Stück hatte eine Musik, die für mich sofort eine Bedeutung hatte, und war von seiner Form und Erzählweise her ganz ungewöhnlich. Seitdem bin ich ein großer Sondheim-Fan.

Also ist Stephen Sondheim Ihr Lieblingskomponist?

Definitiv! Ich besitze alle CDs und DVDs seiner Werke, die jemals veröffentlicht wurden. Ich versuche auch, mir die Inszenierungen seiner Stücke live anzusehen. “Passion” habe ich zum Beispiel in New York, in London und vor kurzem noch in Rotterdam gesehen. Es ist wirklich beeindruckend, dass dieses Stück so sehr bewegt, selbst wenn es in einer Sprache gesungen wird, die uns manchmal etwas Kichern lässt, weil sie wie ein Plattdeutsch klingt. Ich saß in Holland ganz gefangen und tränenüberströmt in meinem Sitz. Die drei Hauptdarsteller waren auch ganz großartig!

Was halten Sie vom aktuellen Musical-Angebot in Deutschland?

Ich finde es schon wesentlich weiser, dass keine gigantisches Theater mehr errichtet werden, sondern dass die großen kommerziellen Produktionen nun durchs Land touren. Ich würde allerdings gerne ein paar neue Stoffe sehen. Leider mangelt es in Deutschland diesbezüglich noch etwas an Eigenleben. Die meisten Inszenierungen werden aus dem Ausland übernommen, und wenn es mal kleinere deutsche Musicals gibt, bekommen sie oft nicht sehr liebevolle Besprechungen, und man denkt sich: “Oh Gott! Will ich das wirklich sehen?”. Andererseits haben die großen Broadway-Musicals in Deutschland auch dafür gesorgt, dass man auf den Stadttheaterplänen wieder Stücke findet, für die sich Jahrzehnte lang niemand mehr interessiert hat. Wenn irgendwo wieder “Sweet Charity” gespielt wird – was auch immer dabei herauskommt- dann ist das schon mal ein Schritt in die richtige Richtung. Vielleicht fühlen sich dadurch die musikalischen Leiter der Theater inspiriert, selbst neue Dinge zu komponieren. Abgesehen davon, finde ich es auch großartig, dass es in letzter Zeit vermehrt kleinere Inszenierungen wie “Pinkelstadt” oder “Sweeney Todd” in Berlin gab. Es ist schön, dass solche Sachen passieren. Nur so kann auch etwas bewegt werden.

Momentan kommen Compilation-Shows mit einer simplen Handlung und möglichst vielen Gags besonders gut an…

Das finde ich ganz schlecht. Für mich ist das nicht Musical, auch wenn das toll gemacht ist und die talentierten Kollegen dort alles geben…

Braucht jedes erfolgreiche Musical Comedy-Elemente?

Eigentlich braucht immer alles Comedy-Elemente. Nicht umsonst ist das Symbol des Theaters eine zugleich lachende und weinende Maske. Daraus besteht Theater. Es kommt darauf an, um welchen Stoff es geht, und wie man die Elemente dosiert. Selbst in “Passion” gibt es komische Momente, obwohl es ein unglaublich dramatischer Stoff ist. Umgekehrt ist auch der “König der Löwen” keine reine Komödie. So etwas setzt sich auch aus vielen Dingen zusammen. Kluge Regisseure wissen, wie man die Elemente dem Stoff entsprechend kombiniert.

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