Wege aus dem Haifischbecken

Nicht ohne meinen Facebook-Account: Es gibt kaum noch einen Musicalschaffenden, der nicht im Web 2.0 zu finden ist. Doch längst nicht alle Accounts werden auch gepflegt.

Das Leben als Musicaldarsteller ist nichts für Freunde von Sicherheit und Planbarkeit: Immer wieder andere Wohnorte, ständig wechselnde Kollegen, zwischendurch auch immer wieder Phasen ganz ohne Job. Wie kann man in ein solches Berufsleben ein wenig Beständigkeit bringen, Freundschaften pflegen, nette Kollegen nicht aus den Augen verlieren? Wie kann man in Zeiten von Arbeitslosigkeit den Kontakt zur Szene halten, präsent bleiben, den neuesten Klatsch und wichtige Jobtipps mitbekommen?

Das Web 2.0 ist wie gemacht für die Musicalbranche. Anwendungen wie StudiVZ und Facebook ermöglichen es, gerade solche Kontakte zu pflegen, die sonst wohl eingeschlafen wären. Eine Statusmeldung darüber, was man gerade tut oder denkt, ist schnell geschrieben. Und schon sehen möglicherweise Hunderte aktuelle und ehemalige Weggefährten mal wieder das Foto des Autoren, bekommen ein kleines Stück vom Leben mit und haben beim nächsten persönlichen Treffen einen Anknüpfungspunkt für ein Gespräch.

Kein Wunder, dass so viele Darsteller und Kreative die sozialen Netzwerke im Internet nutzen. Während private Homepages nach und nach abgeschaltet werden, findet sich insbesondere auf Facebook.com nahezu die komplette Branche. Zwei Stichproben: Von den diesjährigen Musicalabsolventen der staatlichen Hochschulen haben 90 Prozent ein Facebook-Profil, von den auf Musical spezialisierten und meist älteren Kreativen sind es immerhin noch fast 70 Prozent.

Vor allem an den Musicalschulen sind die Netzwerke weit verbreitet. Da kann es dann schon mal vorkommen, dass zwei Tage nach Abschluss einer Workshopproduktion mit einer jungen Cast sämtliche Ensemblemitglieder der dazugehörigen Facebook-Gruppe beigetreten sind. Auch unter den etablierten Künstlern gibt es Fürsprecher. “Man erfährt sich irgendwie als Teil einer großen Familie”, sagt Mischa Mang (“We Will Rock You”). Man erfahre, wie sich Kollegen in ihren Produktionen fühlen und warne sich gegenseitig vor zwielichtigen Produktion. Er begegne auf diese Weise immer mehr Kollegen, “die das zum Haifischbecken führende Konkurrenzdenken abgelegt haben”.

Auch Charlotte Heinke (“Die letzten fünf Jahre”) sieht Facebook vor allem als Möglichkeit, privat mit Kollegen in Kontakt zu bleiben. “Ich habe Kollegen wiedergefunden, die ich komplett aus den Augen verloren hatte, und bin mit ihnen in regem Kontakt. Dafür ist Facebook eine wunderbare Erfindung”, sagt sie. Das bleibe keinesfalls immer oberflächlich. Als vor einigen Monaten ihre Schauspiellehrerin Monika Bleibtreu starb, richtete Kollege Carsten Lepper ein virtuelles Kondolenzbuch ein. “Da war ein plötzlicher Zusammenhalt zu spüren zwischen Menschen, die sonst nichts Privates miteinander zu tun haben. Das hat meine Trauer etwas erleichtert.”

Und nicht nur die Darsteller, auch ihre potenziellen Arbeitgeber tummeln sich bei Facebook – was auch schon mal zu Missstimmungen führen kann. So bestätigt Maik Klokow, Ex-Chef der Stage Entertainment Deutschland und jetzt Geschäftsführer bei der Krauth-Gruppe, dass sich auch schon mal Darsteller über diesen Weg einen Vorteil verschaffen wollen: “Einige Nutzer verstehen nicht den Unterschied zwischen Beruf und privat.” Er sei privat bei Facebook unterwegs und erwarte, dass andere das akzeptieren. “Nur, wenn ich mich selbst zu einem bestimmten Musicalthema äußere, kann man mich auch auf dieses ansprechen.”

Doch das ist nur ein kleineres Problem. Insgesamt ist die Kommunikation via Facebook eine echte Hilfe für mobile Arbeitnehmer, wie es Musicalschaffende nunmal sind. Und ganz offensichtlich hat das Portal auch Menschen enger zusammenrücken lassen.

Also: Alles gut, Tendenz steigend, und irgendwann werden auch die Jobs über Facebook vergeben? Man kann zumindest leise Zweifel haben, ob das Portal eine solche Bedeutung für die Branche erlangen wird. Denn dass viele Menschen auf Facebook präsent sind, heißt noch nicht, dass sie auch alle dort aktiv sind. Weil Profile oft nur für bestätigte Kontakte einsehbar sind, lässt sich von außen kaum erkennen, ob jemand das Portal regelmäßig nutzt. Ein Indiz: Auf zehn über Facebook verschickte Anfragen an Musicalschaffende (alle mit vielen aufgeführten Facebook-Freunden) kamen binnen zwei Wochen nur vier Antworten zurück. Das kann natürlich viele Gründe haben – aber einer davon könnte sein, dass der jeweilige Account nicht mehr genutzt wird. Ein weiteres Indiz: Vormals sehr aktive Gruppen (beispielsweise Rumours in Musical Business) haben deutlich an Schwung verloren.

Trotz der vielen Vorteile scheint die erste Begeisterung also nachzulassen. Wohl auch, weil viele genervt sind von Kontakten, die mit ständigen Sinnlosigkeiten wie den Ergebnissen von Psychotests und Spielen den Reiz der Statusmeldungen entwerten. Facebook & Co werden die Kommunikation in der Branche wohl nicht revolutionieren. Aber gerade für die private Kommunikation können sie eine echte Bereicherung sein.

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